Lisa Puyplat
Sabine Richter- Fotografie, Hubertus Hess – Skulpturen und Objekte
Kunstverein Coburg
2007


(...) Sabine Richters Weg zur und dann mit der Fotografie erscheint zunächst insofern radikaler als jener von Hubertus Hess, als sie heute, an seinem vorläufigen Ende, auf alle dreidimensionalen Elemente verzichtet. Dabei lässt sich in ihrem Werk das Entstehen der Fotografie aus der Bildhauerei oder besser gesagt aus der plastischen Arbeit gleich der allmählichen Verfertigung der Gedanken beim Schreiben deutlich verfolgen. Richters thematische Leitlinien sind von jeher die Formen von Körper, Raum und Architektur in ihrem vielfach verschränkten Verhältnis zum Innen und Außen, zum Licht und zur Zeit gewesen. Die Darstellung der Durchdringung verschiedener Ebenen und Dimensionen auf der Fläche hat sie zu einem ihr wesentlichen Thema gemacht. Als Bildhauerin dem Dreidimensionalen verbunden, suchte sie in ihrer Arbeit mit der Fotografie, mit der sie sich seit rund zwanzig Jahren beschäftigt, in unterschiedlicher Weise nach jenen Darstellungsmitteln, die mit den verschiedenen Ebenen korrespondieren und Formen und Inhalte zu einer Einheit verbinden lassen. Ihre ersten Arbeiten mit Fotografie waren den heutigen thematisch zwar ähnlich, in ihrer Form aber verschieden. Sabine Richter nahm ihre Sujets zunächst mit einer Polaroid-Kamera in verschiedenen Einstellungen auf. Diese Fotos waren Basismaterial für die anschließende Bearbeitung. Die Sujets waren, so lange ich ihre Arbeit kenne, immer schon tektonische Formen von Senkrechten und Wagerechten, von Raum, Körper und Architektur, verkörpert in Treppen, Gittern, Wandflächen und Gebäudekanten, aber auch in Glasfronten, Fenstern und ihren Spiegelungen. Im Farbkopierer vergrößerte und vervielfältigte sie die Polaroids und collagierte und montierte sie zu neuen Formen einer zersplitterten Körperlichkeit. Die Ebene der Fläche verließ sie in den Anfängen ihrer Arbeit mit Fotografie aber nicht nur in der Darstellung, sondern auch in den Mitteln: die Begrenzungen ihrer Bilder folgten bisweilen den dargestellten Formen, die Fotos wurden zu Wand-Objekten mit zusätzlichen Tiefendimensionen durch Schichten von Holz, Transparentpapier und Plexiglas, oder durch über das Bild gelegte Raumabgrenzungen aus Edelstahl. Die Arbeiten aus den letzten vier Jahren, die Sabine Richter in dieser Ausstellung zeigt, sind reine Fotografien. Die Drehungen und Dekonstruktionen des Wahrgenommenen, die in früheren Arbeiten ihren Ausdruck fanden in Collagen, Montagen und haptischen Elementen, liegen jetzt ausschließlich auf der Ebene des Abgelichteten. Die Aufnahmen, die sie mit unterschiedlichen Apparaten, darunter Spiegelreflex- und Digitalkamera, gemacht hat, wurden nicht mehr verändert, und auch der Ausschnitt blieb weitgehend gleich. Es ist, als sei der Blick von Sabine Richter durch den jahrelangen intensiven Umgang mit ihren Sujets mittlerweile aufs Äußerste geschärft für die Durchdringung des Lichts und die Verschränkung der verschiedenen Dimensionen in den Körpern, Räumen und Architekturen. Und sie scheint nun damit zu rechnen, das die Kamera bisweilen mehr sieht als das Auge. Die Fotodrucke auf Aluminium sind von rahmenlosem Plexiglas bedeckt. Den einzigen Eingriff, den Sabine Richter macht, um das Wahrgenommene in seiner Darstellung zu verändern, sind Kombinationen eines Sujets zu zwei- oder dreiteiligen Arbeiten, mit den Möglichkeiten, durch verschiedene Blickwinkel die Komplexität des Dargestellten zu betonen. Wie in den früheren Arbeiten verliert sich die Bestimmbarkeit der Motive durch die enge Gefasstheit des Bild-Ausschnittes, durch ihre Entrückung in den Spiegelungen von Wasser und Glas, durch die Gegenstruktur des Lichteinfalls und seiner Schatten im Unbestimmbaren der verschiedenen Dimensionen. Doch heute bekommen die Fotos durch den Verzicht auf die nachträgliche Manipulation ein Moment der Konkretisation, das Sabine Richter auf eine neuartige, nahezu virtuose Weise einbezieht in das Spiel mit den verschiedenen Ebenen. In seiner Darstellung führt diese Konkretisation paradoxerweise zur Integration des Momentes des Geheimnisvollen. Es ist immer dort spürbar, wo mehr als die Sprache der Körper zu sehen ist, in den grün flirrenden Schatten von Bäumen auf Wand- oder Mauerstücken in der Serie „espace“ beispielsweise, oder im Triptychon „djien dobry diego“ aus der Krakauer Serie, einer Schrägsicht auf ein leeres Schaufenster, dessen Einzelheiten bröckelnder Farbe, steifer, zugezogener Spitzengardinen, gläserner Fronten, von Brechungen und Spiegelungen und farbigen Halbtönen der Blick des Betrachters erst nach und nach wahrnimmt. Auf einem der Teile des Triptychons, die alle aus nahezu gleichem Blickwinkel und zur gleichen Zeit aufgenommen wurden, erscheint wie ein Schemen, gespiegelt in der Schaufensterscheibe auf einer darunter liegenden dunkleren Fläche ein Männergesicht. Es ist der Zufall, der in dieser Art der Wirklichkeitserfassung mitwirkt. Indem Sabine Richter ihn gelten lässt, bekommt die Arbeit hier auch ein erzählendes Moment. Konkret ist auch der Konstruktivismus der mehrschichtig übereinanderliegenden Baudrahtgitter mit den dazwischen liegenden Bauteilen der Serie „grid“. Die zweiteilige Arbeit „interference“ evoziert das Manipulative früherer Arbeiten, doch die Brechungen und Biegungen von Holzlatten und Glasfronten wurden am konkreten Objekt, hier des Kunsthauses in Graz, aufgenommen. In der Serie „Insightout“ ist der Focus der Aufnahmen allein auf die Glasfläche gerichtet. In ihr spiegelt sich Architektur in einer Weise, die im Unklaren lässt, ob sich Äußeres im Inneren oder Inneres im Äußeren reflektiert. In dieser Unklarheit entsteht ein Empfinden, als habe man es nicht nur mit zwei oder drei Ebenen, sondern mit unfassbaren Tiefendimensionen zu tun, die wie ein Sog wirken. In eine neue Form von Realität führen einige Arbeiten aus der Krakauer Serie. Sie spielen nicht nur mit der Verschränkung von weitgehend anonym bleibenden Körpern und Räumen, von Licht und von Zeit, sondern spiegeln dies nun auch in der urbanen Vielfalt einer konkreten Wirklichkeit. Die Aufnahmen von der Krakauer Dachlandschaft mit ihren senkrechten Kaminen und den Blechschrägen, den geschwungenen Linien ihrer Stromleitungen und ihren elliptisch erscheinenden Satellitenschüsseln nehmen in die Darstellungsform nun auch den identifizierbaren Ort auf, mit seiner Geschichte und seiner Atmosphäre. Und da wäre dann, um den Kreis des Hier und Heute zu schließen, auch ein Treffen der fotografischen Ausdrucksweisen von Hubertus Hess und Sabine Richter möglich. Wir als Betrachter stellen uns dabei ein mit dem immer wieder erneuten Erstaunen über die Vielzahl von Möglichkeiten, mit neuen technischen Mitteln die künstlerische Sprache, aber damit rückwirkend auch die Mittel wiederum permanent verändern und erweitern zu können. Sabine Richter und Hubertus Hess thematisieren in ihren Arbeiten indirekt und auf unterschiedliche Weise auch die Zeit. Der eine interpretiert mit zurückgreifenden Zitaten die so schwer fassbare Gegenwart als das letzte Moment des Vergangenen, die andere teilt in ihrer Einbindung der Zeit in die Dimensionen von Körper und Raum etwas mit von der Transzendenz dieser Gegenwart und ihrer Richtungslosigkeit. Und wir als Betrachter kommen dabei vielleicht dem Phänomen der Relativität der Zeit näher.



Lisa Puyplat
Katalogtext zur Ausstellung Sabine Richter - Fotoarbeiten
Städtische Galerie Erlangen, Palais Stutterheim
1998


Das menschliche Bedürfnis, gesetzte Rahmenbedingungen und Ordnungs-vorstellungen zu übertreten, ist seit jeher ein Motor der kulturellen Entwicklung gewesen. Heute, in der Epoche des beschleunigten, naturwissenschaftlich-technischen Fortschritts, wird es ergänzt von dem Bestreben, auch die Mauern der bekannten Dimensionen zu durchdringen. Zu einem künstlerischen Anliegen wird der Vorstoss in neue Dimensionen in jenen Darstellungen, die das ausloten, was zwar in Theorien, Berechnungen und Versuchen vorliegt und in vielfältigen Nutzungen bestätigt ist, doch dem Bewusstsein sich noch weitgehend entzieht. Dazu gehören beispielsweise die Darstellungen von der Veränderbarkeit der Zeit mit der Geschwindigkeit und im Raum, der Durchdringung des Zwei- mit dem Drei- wie Vierdimensionalen, des Gegenständlichen mit dem Abstrakten. Die Durchdringung verschiedener Ebenen und Dimensionen ist auch zu einem zentralen Thema in der Arbeit von Sabine Richter geworden. Als Bildhauerin zunächst dem Dreidimensionalen verbunden, hat sie hierfür Darstellungsmittel gefunden, die mit den verschiedenen Ebenen korrespondieren und Formen und Inhalte zu einer Einheit verbinden. Seit etwa zehn Jahren arbeitet sie an einer Werkgruppe, die angeregt wurde durch ein zufälliges Erlebnis von der unwiederbringlichen Veränderung einer Schattenform durch das Wandern des Sonnenlichtes auf der Fläche im Raum. Die Veränderung der Farben und Formen einerseits, die das Licht auf Flächen und Körpern zu wechselnden Tageszeiten bewirkt, die verschiedenen Ansichten und Blickwinkel andererseits, die diese Formen bis hin zu ihrer Auflösung und Neuordnung dem sich durch den Raum bewegenden Betrachter bieten, bilden die Inhalte für eine erste Serie dieser Werkgruppe. Auf der Suche nach der Wirklichkeit der Wahrnehmung und bei der daraus resultierenden Wahl der >Motive wirken für Sabine Richter Zufall und bewusste Suche zusammen. Das Wahrgenommene wird mit einer einfachen Polaroid-Kamera in jeweils 20 bis 30 Aufnahmen festgehalten. Die Fotos sind Basismaterial der anschliessenden Verarbeitung. Festgehalten sind zunächst Motive, in denen sich lineare und körperhafte Elemente verbinden, wie Jalousien, Holzkonstruktionen, Treppen, Gitter und Geländer, Hauskanten und- Profilierungen mit ihren Schatten. Später auch zunehmend Glasfronten und Fenster, in denen sich bisweilen Spiegelungen von einer kaum mehr erkennbaren Gegenständlichkeit bemerkbar machen. Der jeweilige fotografische Ausschnitt ist so eng gesetzt, dass die Realität weitgehend reduziert ist, in Spuren jedoch immer erhalten bleibt. Denn daran misst sich die Abstraktion, in ihr ist sie enthalten. Das eine ist ohne das andere in diesen Arbeiten nicht denkbar. Und nur so, mit dieser Möglichkeit, sich gewissermassen schwerelos vom einen zum andern bewegen zu können, lässt sich die selbstgesetzte Thematik verfolgen. Die Polaroids werden im Farbkopierer vergrössert und vervielfältigt und entweder seriell kombiniert - nicht selten unter Betonung der schrägen Auf- und Untersichten des jeweiligen Gegenstandes, was zu einer abstrakten und bisweilen ornamentalen Bildstruktur führt - oder sie werden zu neuen Formen von zersplitterter Körperlichkeit collagiert und montiert. Neben Vergrösserung und Montage ist die malerisch wirkende Übersteigerung der Farben durch den Kopierer ein weiteres Moment der Verfremdung des Realen. Farbstärker als der Laserdrucker, mit dem eine Reihe früherer Arbeiten entstanden sind, wirkt hier der Tintenstrahldrucker, der wohl auch aus diesem Grunde zu einem geläufigen künstlerischen Mittel geworden ist. In den collagierten und montierten Arbeiten bricht Sabine Richter den Raum der Fotografie auf und setzt ihn neu zusammen. Sie tut dies auf zweierlei Weise: Entweder unter Wahrung des rechteckigen Bildformates und in der Addition und Betonung von Raum, oder aber in der Betonung des Körpers, indem sie Gegenstandsformen herauslöst und neu zusammenfügt, was paradoxerweise gleichzeitig zur Wahrnehmung ihrer Zersplitterung wie zu der einer neuen Gestalt führt... Die extremen Ansichten von Körper und Raum jenseits der anthropozentrischen Fluchtpunkt-Perspektive , die Zersplitterung der Formen, die sich ergeben, wenn der Raum an den Faktor Zeit gebunden ist, haben eine künstlerische Ahnenreihe, die bis in die Zwanziger Jahre zurückreicht, als die Künstler der Anarchie, in die sie sich durch die gesellschaftliche wie die technische Entwicklung versetzt sahen, eine bildnerische Neuordnung entgegenhielten, der in der bildenden Kunst u.a. vom Konstruktivismus, und parallel dazu in der Fotografie vom "Neuen Sehen" formuliert wurde. Doch greift Sabine Richter mit diesen Elementen auch jene aktuellen Tendenzen auf, die mit dem Begriff Dekonstruktivismus umschrieben sind, der sich quer durch das heutige Schaffen von der bildenden Kunst und des Design bis hin zur Architektur zieht. Die Formen des Dekonstruktivismus sind jedoch meist, zugleich mit neuen Massgaben für Wahrscheinlichkeit, Statik und Zeit, direkt oder indirekt an die Simulation der Realität, und damit an die Möglichkeit der digitalen Mittel gebunden. Da jedoch in Sabine Richters Arbeiten die Realität und deren Auflösung und nicht deren Simulation den thematischen Hintergrund bildet, ist es zwingend, das Dekonstruktion durch die mechanischen und nicht durch die virtuelle Zertrümmerung hergestellt wird.. Nur so auch ist das Spannungsfeld zwischen der Virulenz des Realen und den wirksamen abstrakten Strukturen dahinter, zwischen der anonymen, beliebig wiederholbaren Reproduktion und dem individuellen künstlerischen Eingriff zu verdeutlichen. Wenn die Fotografie eine imaginären Raum bezeichnet und die Skulptur einen realen Raum abmisst, ist es das Dazwischen, das Uneindeutige und das Mehrdeutige, das diese Arbeiten bestimmt. In einigen der jüngeren Arbeiten sind dabei die verschiedenen Ebenen nicht nur zweidimensional und optisch , sondern auch dreidimensional und haptisch festgehalten. In den Polaroids erscheinen Reflexe von Wirklichkeiten in Spiegelungen von Fenstern und Schaukästen. Deren Rahmen erhalten eine kompositorische Bedeutung und begrenzen in ihren pespektivischen Schrägen die Bildform. Die Fotokopie der Fotografie und mit ihr das "Bild" ist einerseits in Schichten von Holz und Plexiglas gelegt und wird so zum Objekt, was betont wird auch durch das Bildformat, andererseits wird das Bild durch darübergelegte Raumabgrenzungen aus Edelstahl zum Relief. Parallel dazu entstehen Papierarbeiten, in denen die Fotografie Bildgrund ist für perspektivische Projektionen. Schnitt- und Leerflächen, Verschiebungen und Verdoppelungen, Übertragungen von flächigen in lineare Formen auf darüberliegendem Transparentpapier verbinden sich zu einem Spiel um Öffnungen, Ausblicke, Vieldeutig- und Mehrschichtigkeiten des Räumlichen, das sich von Körper und Fläche nun zunehmend in die Tiefe des Raums verlagert. Die Kleinplastiken aus geschwärztem Eisen und Edelstahl, die gleichzeitig entstehen, nehmen die Konfrontation von Fläche und Raum auf vergleichbare Weise auf. In den Edelstahlplastiken sind je zwei gleiche rechteckig-flächige Leerformen in perspektivischer Verzerrung gegenläufig so aneinander gefügt, als seinen sie von einem jeweils anderen Blickwinkel gesehen. Das Empfinden der Unvereinbarkeit, das sie vermitteln, ist verbunden mit der Erkenntnis, dass sich diese nie auflösen wird. Nach dem Prinzip der verschiedenen perspektivischen Blickwinkel sind auch die ungleichen Flächenformen der Eisenplastiken wie zu Faltungen , die nicht zur Deckung kommen, einander zugeordnet. Sabine Richter erweitert das Spiel mit den verschiedenen Ebenen von Fläche, Körper und Raum auf das Ineinandergreifen von Fotografie und Malerei, von Tafelbid und Skulptur, von Realem und Abstraktem, und damit auf die Verschränkung der formalen und medialen mit den inhaltlichen Komponenten der verschiedenen Dimensionen. Deren gleichzeitige und zugleich spannungsvolle Präsenz im Bild gibt den Arbeiten einen schwebenden Charakter. Das Ungreifbare wird zum Greifbaren und umgekehrt. So lassen manche diese Bilder nicht umsonst an das fotografische "Blow up" denken, das zu einem festen Begriff für den Zustand zwischen Realem und Imaginärem wurde. Zugleich damit stellen sich die bohrenden Fragen nach dem, was die Realität denn nun sei.