Marc Ries | www.marcries.de
Drei Versuche, das fotografisch-konkrete Begehren von Sabine Richter zu benennen.

Bilder von Bildern
Ausgangspunkt der Arbeiten von Sabine Richter ist die Außenwelt, die Dingwelt, mit Vorzug Architekturen. Aber es ist allererst nicht die gebaute Welt als Einheit, Solidität und Identität von Baukörpern oder Funktionselementen, die aufgenommen wird, sondern die Dingwelt als Erscheinung, die gesehen, entdeckt, erkannt werden will. Es ist die bereits als Bild, als Spiegelung, Reflektion, Projektion gerahmte, sich zeigende Welt der Oberflächen, der Lichtwirkungen, des Zusammenwirkens unterschiedlicher Kräfte, die die Dinge in diesen ihren zusätzlichen und augenblicklichen Präsenzen als ein ästhetisches Supplement umdefinieren. Zu sehen ist für den zufälligen und neugierigen Beobachter ein Aufblitzen, ein Ereignishaftes-Aufscheinen, eine ephemere Sichtbarkeit ohne direkten Referenten, ohne Objektursache. Das Zusammenspiel von Licht, Perspektive und baulichen Eigenheiten lassen ein Bild emergieren, das sich aus den Eigenschaften dieser Elemente alleine nicht erklären ließe. Das Bild ist also stets ein Zusätzliches, ein aus den Dingwelten heraus erzeugter, konkretisierter ästhetischer Mehrwert, funktions- und formlos. Denn diese »Form« hat keinen Träger in der Außenwelt, es ist eher ein Formenspiel, das sich als eine Art Überschuss ereignet und in dieser Verausgabung bloß auf sich selber verweist. In der fotografischen Bildgebung, in der präzisen fotografischen Momentaufnahme, gelingt es Sabine Richter, diese Bilder in ihrer Mission einer Entsubstantialisierung alles Materiellen, Physischen, Körperlichen fotografisches Ding werden zu lassen. Es sind aus Expeditionen in ein Zwischen- oder Nebenreich der Dingwelten gewonnene, verdichtete Fotografien. Sie artikulieren eine Präsenz, die nun tatsächlich nur für die Kamera bzw. das fotografische Bild zu existieren scheint, kaum jemand wird Zeuge dieser Erscheinungen gewesen sein, es ist ein angewandter Blick auf das Kontingente, Flüchtige, zugleich Poetische von Alltagsphänomenen. Man könnte, vielleicht ein wenig tautologisch, das als Verfahren beschreiben, ein Bild des Bildes als Bild zu verfertigen – mit dem Zusatz, dass es wohlwissend »nur« ein Bild ist, das wir zur Verfügung haben, über das wir verfügen können, sozusagen eine referenzlose, also ursprungslose Semiose, eine nicht-kausale, autologische Zeichenhaftigkeit, die sich selbst genügt: Para-Bilder. Vielleicht lässt sich mit Jacques Derrida festhalten, dass diese Fotografie auf besondere Weise als »Supplement supplementiert«: Das fotografische Supplement »gesellt sich nur bei, um zu ersetzen. Es kommt hinzu oder setzt sich unmerklich an-(die)-Stelle-von; wenn es auffüllt, dann so, wie wenn man eine Leere füllt. Wenn es repräsentiert und Bild wird, dann wird es Bild durch das vorangegangene Fehlen einer Präsenz. [...] das Supplement nimmt auf natürliche Weise den Platz der Natur ein.« Die Foto-Schrift ersetzt oder füllt also im Falle Sabine Richtes eine »Leere«, Leere verstanden als das, was keinen Grund, keine Physis und keinen Namen hat, was also nicht existiert – und dennoch, zusätzlich, substitutiv und supplementär existiert.

Spiegelungen
Das Buch Logik des Sinns von Gilles Deleuze enthält 34 Serien der Paradoxa – untersucht werden Paradoxa des Sinns, anders gesagt, der in jeglichem Sinn mitenthaltene Widersinn, also die Entstehung von Sinn aus Un-Sinn, Gegen- und Nicht-Sinn. Spiegelungen sind gut geeignet dieses Thema weiterzudenken. Denn auch Spiegelungen produzieren das, was Deleuze die »unendliche Identität entgegengesetzter Sinnrichtungen« nennt. Die fotografisch-architektonischen Spiegel-Bilder von Sabine Richter offenbaren die Gleichzeitigkeit bzw. Identität von sich widersprechenden Erscheinungen aus Konstruktionselementen und topographischen Verhältnissen, etwa die Einswerdung eines spitz auslaufenden, um 45° gekippten Daches mit Ausschnitten aus dem Innenraum einer Halle auf einer spiegelnden Fläche. Hier ereignet sich, was begrifflich als Simulacrum oder (in missverständliches Deutsch übersetzt) Trugbild verstehbar wird, ein Bildtypus also, der das platonische Verhältnis von Urbild und Abbild zurückweist und eine eigene Existenz beansprucht. Dort, wo sich die Spiegelungen ereignen, entsteht eine Verkehrung architektonischer Verhältnisse dergestalt, dass die sichtbaren Zustände in keinerlei Weise mehr ihren real-stofflichen und statischen Ursachen entsprechen. Spiegelungen ereignen sich, will sagen, dass sie keiner Logik, keinem Kalkül folgen, sondern einem nicht-determinierbaren Prozess. Kontingente Erscheinungen also, will sagen, es bedarf einer besonderen Hinwendung, einer gewissen Sensation und Aufmerksamkeit, um die Erscheinungen überhaupt in den Blick zu nehmen. Die Spiegelung ist eine singuläre Erscheinung, die jederzeit in ein anderes Bild umkippen kann, sie ist also eine Möglichkeit von vielen zum Zeitpunkt ihrer Wahrnehmung. Nun ist plötzlich alles anders, die Ingenieurskunst ist einer visuellen Kunst gewichen, das Bild kombiniert die einzelnen Bauelemente nach paradoxen Regeln, gruppiert die Flächen und Vektoren um - eine neuartige Konstruktion tritt ins Bild, eine wundersam andere Welt, denn die der Funktionalität der Architektur. Die sichtbaren Zustände werden solche aus einer Welt »hinter den Spiegeln«. Zu sehen sind Wirkungen, ins Bild mutierte unkörperliche Wirkungen, die als reine Oberfläche in den Blick kommen und die Architektur anders erfahren lassen. »Unkörperliche Wirkungen« – auch das eine Referenz an Gilles Deleuze Studie zur Philosophie der Stoiker, die zwei Arten von Dingen unterscheiden: Nämlich Körper und ihre aufeinander bezogenen Ursachen einerseits, und Ereignisse, bzw. unkörperliche Wirkungen andererseits (die möglicherweise vergleichbar sind Walter Benjamin´s »unsinnlichen Ähnlichkeiten«). Zu sehen sind unkörperliche Fotografien unkörperlicher Spiegelungen, die nicht existieren, sondern insistieren, sie insistieren darauf, dass sie nicht Abbilder von Architektur-Ideen, also -Konstruktionen sind, sondern Simulakren mit Oberflächenwirkungen, die nicht die Frage nach einem SEIN stellen, sondern die nach einem aliquid, einem ETWAS. etwas passiert auf einem spiegelnden Glas, das keine Identität/Idealität beansprucht, sondern von dem Betrachter die Bereitschaft abverlangt, sich auf eine paradoxe Welt einzustellen, in der das, was innen ist, außen wird, und das, was außen ist, innen! Der fotografische Akt bildet Raum aus, will sagen, er gewährt Einblicke und Einsichten in die baulichen Relationen, die als Bild eine Evokation der Gebäude oder architektonischen Situationen ermöglichen, wie sie jegliche andere, also rein abbildende, also unräumliche Fotografie so nicht zu zeigen in der Lage ist. Wenn ich davon spreche, dass Sabine Richter im Akt des Fotografierens Raum ausbildet, so meine ich damit, dass sie alle einzelnen Elemente des Baukörpers in ungewohnte, andere, ungewöhnliche Beziehungen zueinander setzt, also einen neuen Raum schafft, der gleichfalls anders wahrgenommen und auch sinnlich »bewohnt« werden will. Es passiert eine Einsicht in das, was der Baukörper noch sein könnte, sein Anders-sein wird evoziert. Räumliche Erfahrung dieserart medial erzeugt vermag eine Evokation, also eine Anrufung der Architektur, zu ermöglichen, die dem Erleben der Baukörper als einer Art wonder-building begegnet! Zwar ist der Bau nun als Bild erfahrbar, aber in dieser Bildlichkeit ist eine Potentialität versammelt, die das gebaute Ding noch einmal, oder, besser, noch viele Male in so gänzlich u-topischer Weise sich weiter entwerfen lässt, dass der Betrachter, höchst erfreut, sich in einem topoästhetischen Delirium zu verlieren bereit ist.

Eine stumme Geheimschrift
Die Fotografie ist eine stumme Kunst, ihre Stummheit meint nicht die Abwesenheit von Sprache, sondern die Anwesenheit einer »stummen Sprache«, also von Schrift oder Form, etwas, das sich zuallererst zeigt und nicht spricht. Diese fotografische Schrift resultiert aus dem Aufnehmen all jener Dinge, die im Moment der Aufnahme selber stumm sind und also mit der Fotografie Zeugnis ihrer selbst erhalten. Die Dinge, das sind zunächst jene zahllosen schweigsamen Menschen, die porträtiert werden und die ihre Stummheit als Kondition ihrer Wiedererscheinung im Bild erfahren, als Körper, nicht als Sprache. Denn es sind die Körper, die wiedergefunden, beachtet, anerkannt werden wollen. Und dann sind es vor allem all jene Dinge, die nie reden konnten, die in der Komplizenschaft mit dem Fotografischen ihre Anwesenheit als Lichtabdruck oder vielleicht besser als Lichtform nutzen, um dem Betrachter etwas zu zeigen, das die Sprache kaum je aus sich hätte artikulieren können. Das, was die Dinge als fotografische hinfort zeigen, ist ihr »Geheimnis«, oder, vielleicht besser, ist eine Geheimschrift, die einen Zugang eröffnet zu dem, was Jacques Rancière das »ästhetische Unbewußte« nennt. Beinahe ist es so, als ob die Fotografie dazu aufgerufen ist, jenen »Rücken der Dinge« zu zeigen, den Ernst Bloch in einem schönen kleinen Text mit der Frage, Was denn die Dinge ohne uns treiben, beschreibt: »Das Leben hat sich unter und auf den Dingen angesiedelt, als auf Objekten, die keine Atmung und Speise brauchen, »tot« sind, ohne zu verwesen, immer vorhanden, ohne unsterblich zu sein; auf dem Rücken dieser Dinge, als wären sie der verwandteste Schauplatz, hat sich die Kultur angesiedelt«. Die stumme Fotografie nun, ihr gelingt lange Zeit per se, die Hierarchien der Repräsentationsordnung zu unterlaufen und zu verkündigen, dass alles, ein jeder »gleichberechtigt, gleich wichtig, gleichermaßen bedeutsam« (Rancière) sei. Sie verstärkt und bestärkt das Vertrauen in das Kleinste, das Vereinzelte, das Banale, das Fragment. Doch auch die Fotografie wurde zum Aussagen, zum Sprechen gezwungen, zum Übersetzen angehalten. Sie wurde überformt von allem Möglichen und musste ihre Komplizenschaft mit den Dingen oft genug aufkündigen. Allzu viele glaubten nun allzu vieles in allen Bildern zu »lesen« und also zu verstehen und also übersehen zu können. Nun wird eine zusätzliche Arbeit notwendig, eine ästhetische Arbeit an der stummen Form des ästhetischen Unbewussten der Dinge. Hierzu bedarf es, und ich folge hier wieder einer Beobachtung von Jacques Rancière, einer paradoxen Voraussetzung: Damit das »Banale« sein Geheimnis preisgibt, der Rücken der Dinge sich dem Blick der Kunst zeigt, muss das Einzelne zunächst »mythologisiert« werden. Rancière bezieht sich hier auf die Dichter, die Geologen und Archäologen werden, um die »wahre Geschichte einer Gesellschaft« hinter den bunten Geschichten und Mythen der Alltagsdinge zu schreiben. Jedoch scheint mir, dass für die fotografische Kunst keine Mythologisierung der Dinge notwendig ist, vielmehr muss das Einzelne dort aufgefunden werden, wo es sich bereits in einem anderen, denn seinem »natürlichen« Zustand zeigt. Es muss sich noch verkleinerter, reduzierter, minimalisierter, besser, es muss sich von seiner faktischen Materialität noch abstrahierter zeigen, um das Spurenlesen, das Wahrnehmen der historischen Strata, das Erkennen seines Geheimnisses zu ermöglichen. Die Abstraktion erst ermöglicht das Wiederfinden des Unvergleichlichen. Sabine Richter nutzt verschiedene Taktiken oder Einstellungen, um diese Abstraktion in der Konkretion zu erschaffen. Dietla etwa zeigt in drei Tableaus verschiedene Ausschnitte einer Mauer mit einer über einem Gestänge versperrten Öffnung. Nichts ist zu sehen ausser einer breiten, kargen Mauerfläche, dunklen Stäben und dem Grün eines Rasens dahinter. Dennoch: Die drei Ausschnitte verhalten sich – gerade ob ihrer dekontextualisierten Materialität und als nicht-lineare Abfolge – filmisch zueinander, sie evozieren eine investigative Bewegung, obwohl sie doch nur den immer gleichen kleinen, unbedeutenden Teil zeigen. Durch die a-logische Iteration verlangsamt sich der Blick, und nun können die Mauer, die Stäbe und das Grün zu erzählen beginnen. Dzien dobry diego macht die vorgefundene Spiegelung eines entleerten Schaufensters zur Produktivkraft der Dinge und ihrer Erscheinung. Entlassen aus ihrer Funktion der Inszenierung der Waren, illuminieren die Spiegelungen nunmehr alles andere, das in ihr Reflektionsfeld tritt oder einfach immer schon da war: das gegenüberliegende Haus, das rote Automobil, der vorbeigehende Mann, der hineinschaut in die Leere des Raumes und dem Kamerablick für kurze Zeit begegnet. Und wieder drei Teile, die zueinander in Bewegung sind und die Betrachtung immer mehr in die historisch komplexe Semantik der Stadt ziehen. Auch die Arbeit L´espace lässt Schattenbilder das Funktionale einer Architektur brechen: Die Ausschnitte provozieren den Verdacht, diese Bilder seien ohne Referenz, wären photogenerative Bilder, Bilder aus dem Inneren von Programmen, rein künstliche Formen. Doch auf der Fassade insistieren zitternde Schatten von Bäumen, Spiegelungen vom Disfunktionalen einer Außenwelt. Der Blick verharrt, nimmt plötzlich Unebenheiten wahr, kleine Abnutzungen, Lebensspuren. Das Ding beginnt unter seiner Maskerade zu vibrieren. Offensichtlich sind auch diese Bilder stumm, doch auf eigentümliche Weise scheinen die Bilder zu hören. Sie treten in Resonanz zu ihren Gegenständen, deren Abbild sie zwar leisten, wesentlich jedoch ist, dass sie Klangkörper werden. Die Schwingungen der Erzählungen der Dinge, so »ungegenständlich« sie sein mögen, nehmen die Begegnung wieder auf zu denen, die hören wollen. Das Konkrete dieser Fotografien verweist zudem auf einen Akt, der schwerlich als »fotografischer« in einem herkömmlichen Sinn zu verstehen ist. Viel eher müsste man von einer magischen, ja ritualhaften Fotografie sprechen, ist doch ein jedes fotografische Einzelbild auch das Resultat einer Intuition, einer Einsicht in die Ereignishaftigkeit von allem, in die nicht-hierarchische Korrelation von allem mit allem, von Dinglichem mit Undinglichem, von Licht mit Materie. Hatte die Neue Sachlichkeit ihre eigenwillige fotografische Aneignung der Maschinen-Architekturen als Versöhnung der industrialisierten Welt mit dem Begehren der Menschen verfolgt, so praktiziert diese Andere Sachlichkeit eine Anreicherung von Sinnlichkeit in einer von großen sinnlichen Ambivalenzen geprägten Zeit. Wir begegnen leicht-sinnigen Bildern, bescheiden-klugen, anspruchslos-lebendigen Bildern im Para-Universum Sabine Richters.

Literatur
Ernst Bloch, Der Rücken der Dinge. In: Spuren. Frankfurt am Main, 1969
Gilles Deleuze, Logik des Sinns, Frankfurt am Main, 1993
Jacques Derrida, Grammatologie, Frankfurt am Main, 1974
Jacques Rancière, Das ästhetische Unbewußte. Zürich, Berlin, 2006


Marc Ries
Three attempts to name the concrete-photographic desire of Sabine


Pictures of Pictures
The starting point of the works of Sabine Richter is the outside world, the world of things, with a preference for architectures. But it is first and foremost not the constructed world as a unit, a solidity and identity of structures or functional elements that is recorded, but the world of things as an appearance, which wants to be seen, discovered, recognised. It is the world of surfaces, of light effects, of the interaction of different forces, already manifesting itself framed as a picture, a reflection, a projection, which redefines things in their additional and momentary presences as an aesthetic supplement. What can be seen by the curious casual observer is a twinkling, an eventful appearance, an ephemeral visibility without direct reference points, without an object-cause. The interaction of light, perspectives and architectural peculiarities allow a picture to emerge that could not be explained by the properties of these elements alone. The picture is therefore always something extra, an aesthetic added value generated, appropriated from the material world, without function or shape. Because there is nothing to hold up this “shape“ in the outside world, it is rather a play of shapes, taking place as a kind of surplus and referring only to itself in this excess. In photographic imaging, in the precise photographic recording of a moment, Sabine Richter manages to turn these pictures into photographic things in her mission to desubstantialise all things material, physical, bodily. These are photographs extracted, compressed from expeditions to an intermediate or subsidiary sphere of the material world. They articulate a presence that now really does seem to exist only for the camera or the photographic image. Hardly anybody will have witnessed these occurrences, this is an applied look at the contingent, the fleeting, yet at the same time poetic qualities of everyday phenomena. One could, perhaps a little tautologically, describe this as a procedure of fabricating a picture of the picture as a picture – while knowing full well that this is “just“ a picture at our disposal, that we can call on, a semiosis without reference, without origin, so to speak, a non-causal, tautological symbolic nature which is sufficient in itself: para-images. Perhaps it could be said, to borrow from Jacques Derrida, that these photographs “supplement as supplements“ in a special manner. The photographic supplement “joins in only so that it can replace. It enters or settles indiscernibly in-place-of; if it fills out, then in the way that an emptiness is filled. If it represents and becomes a likeness, then it turns into a picture through the preceding absence of any presence. [...] the supplement takes over the place of nature in a natural way.“ The photo-script replaces, or in the case of Sabine Richter fills an “emptiness“ that is to be understood as something that has no reason, no physical basis and no name, which therefore does not exist – and yet, in addition, does exist in substitute and supplementary form.

Reflections
The book The Logic of Sens by Gilles Deleuze contains 34 series of paradoxa – paradoxa of the senses are examined, in other words, the contradiction contained in every sense, that is, the formation of sense from non-sense, contra-sense and un-sense. Reflections are well-suited to develop thoughts on this matter. Because reflections also produce what Deleuze calls the “unending identity of opposing intentions“. The architectural photographic reflection images of Sabine Richter reveal the simultaneity and identity of contradicting appearances formed of construction elements and topographical relationships, such as a roof, tilting at 45° and terminating in a point, becoming one with sections from the interior of a hall on a reflecting surface. Something is taking place here which can be seen conceptually as a simulacrum or (in the ambiguous German translation) Trugbild [illusion], an image type, therefore, which rejects the platonic relationship of archetype and image, and which claims an existence of its own. Where these reflections take place, a reversal of architectural proportions arises in such a way that visible conditions no longer correspond whatsoever to their real-material and static origins. Reflections take place, that is to say they do not follow any logic, any calculation, but a non-determinable process. These are therefore contingent occurrences, i.e. it requires a special devotion, a certain sensation and alertness to even contemplate these occurrences. The reflection is a singular occurrence that can turn at any time into another picture, so it is one possibility of many at the moment it is perceived. Now everything is suddenly different, the art of the engineer has given way to a visual art, the picture combines the individual structural elements according to paradox rules, regroups surfaces and vectors – a fundamentally new kind of construction emerges, a wonderfully other world than that of the functionality of architecture. Visible states become ones from a world “behind the mirrors“. What can be seen are effects, incorporeal effects mutated into the picture, which come into view as a pure surface and allow the architecture to be experienced in a different way. “incorporeal effects “ – another reference to Gilles Deleuze's study on the philosophy of the Stoics, who made a distinction between two types of things: namely bodies and their interrelated causes on the one hand, and events and incorporeal effects on the other (which are possibly comparable with Walter Benjamin´s “non-sensuous similarities“). What can be seen are incorporeal photographs of incorporeal reflections, which do not exist, but rather insist, they insist on not being reproductions of ideas of architecture, that is constructions, but simulacra with surface effects that do not pose the question of BEING, but rather that of aliquid, of SOMETHING. Something happens on a reflective glass that does not claim an identity/ideality, but instead demands from the viewer that he be prepared to enter a paradox world in which what is inside becomes outside, and what is outside, inside! The photographic act qualifies space, that is, it allows views and insights into structural relations, which as an image enables an evocation of the building or of architectural situations in a way that no other purely portraying, and thus non-spatial, photography is capable of showing in this way. When I say that Sabine Richter qualifies space in the act of photography, what I mean is that she places all the individual elements of the structure into unfamiliar, different, unusual relationships with each other, thus creating a new space that equally wants to be perceived differently and also be sensually “inhabited”. An insight arises into what the structure still could be, its differentness is evoked. A spatial experience, generated by photography in this way, is capable of bringing about an evocation, that is an invocation of the architecture, which encounters the experience of the structure as a kind of wonder-building! Although the building can now be experienced as a picture, a potentiality is stored in this two-dimensional 'pictureness' which allows the built object to be redesigned once more, or better, many times over, in completely u-topian fashion, so that the viewer, absolutely delighted, is on the point of losing himself in a topo-aesthetic delirium.

A silent, secret script
Photography is a silent art, its silence muteness does not mean the absence of language, but the presence of a »silent language«, that is of writing or form, something that first and foremost shows itself, and does not speak. This photographic script results from recording all those things that in the moment of exposure are themselves silent, and that with the photograph have proof of their own existence. Things, these are firstly the numerous silent people who are portrayed and who experience their silence as a condition of their reappearance in the picture, as an object, not as language. Because it is the objects that want to be found again, appreciated, recognised. And then there are especially all those things that could never speak, which in complicity with photographic qualities use their presence as a light imprint, or perhaps better as a light shape, to present something to the viewer that language could hardly have articulated on its own. What these things henceforth reveal as being photographic is their “secret“, or perhaps better, is a secret script providing access to what Jacques Rancière calls the “aesthetic unconscious“. It is almost as if photography is called on to show the “back of things“ as described by Ernst Bloch in a fine short text with the question: What things get up to without us: “Life has formed beneath and on things, in the sense of objects that do not need to breathe and eat, that are “dead“, without decaying, always available without being immortal; culture has settled on the back of these things, as if they were a closely related stage“. Silent photography for a long time manages per se to undermine the hierarchies of the orders of representation and to announce that everything, each one of us has “equal rights, is of equal importance” (Rancière). It strengthens and encourages confidence in the smallest detached thing, something banal, a fragment. But photography was also forced to make a statement, to speak, forced to translate. It was reshaped by all manner of things and frequently had to announce its complicity with the material. All too many people now believed they could “read“ far too much in all pictures, and therefore understand, and therefore acquire an overview. Now an additional work is required, an aesthetic work on the silent form of the aesthetic unconscious nature of things. A paradox prerequisite is needed for this, and I again refer to an observation by Jacques Rancière: in order for the “banal“ to reveal its secret, for the back of things to present itself to the perspective of art, the individual must first be “mythologised“. Rancière makes reference here to poets, geologists and archaeologists, in order to write the “true history of a society“ behind the colourful stories and myths of everyday things. And yet it seems to me that a mythologising of things is not necessary for photographic art, rather the individual has to be located there, where it is already showing itself in a form other than its “natural“ state. It needs to show itself even smaller, more reduced, more minimal, better, it must be shown even more abstracted from its factual materiality to enable traces to be read, historical strata to be perceived, its secrets to be revealed. Only abstraction allows incomparable things to be recovered. Sabine Richter uses various tactics or approaches to create this abstraction in the concretion. Dietla for example shows different sections of a wall in three tableaux, with an opening barred with a metal pole. Nothing can be seen apart from a wide, bare wall surface, dark rods and the green of a lawn. And yet: the three extracts – precisely because their materiality is removed from context, and as a non-linear sequence – relate to each other filmically, they evoke an investigative movement, although they show just the same small, never changing and insignificant extract. Through the illogical iteration the view slows down, and now the wall, the poles and the green start talking. Dzien dobry diego turns the existing reflection of an empty shop window into the productive force of things and their appearance. Relieved of their function of presenting goods, the reflections now illuminates everything else that enters their sphere or that was simply there before: the house opposite, the red car, the man walking past who looks into the emptiness of the room and meets the eye of the camera for a brief moment. And again there are three parts, moving in relation to one another and dragging the gaze more and more into the historically complex semantics of the city. The work L´espace also allows shadows to fracture the functional element of an architecture: the sections raise the suspicion that these pictures are without any reference, that they might be photo-generative pictures, pictures from the inside of programmes, purely artistic forms. Yet twitching shadows of trees insist their way onto the facade, reflections of the disfunctionality of an outside world. The gaze remains fixed, suddenly notices uneven patches, little scratches, signs of life. The thing starts to vibrate beneath its masquerade. Clearly these pictures are also silent, but in a peculiar way they appear to be listening. They are in resonance with their objects, of which they are copies, but the essential matter is that they become sounding boards. The vibrations of the stories of the things, as “immaterial“ as they may seem, make contact again with those who want to hear. The concrete element of these photographs also refers to an act that can be hardly seen as “photographic“ in the traditional sense of the word. One ought rather to talk of a magical, even ritual-like photography, considering that each single photographic image is also the result of an intuition, an insight into the eventfulness of everything, into the non-hierarchical correlation of everything with everything, of the material with the immaterial, of light with matter. Where the 'Neue Sachlichkeit' [New Objectivity] once pursued its headstrong photographic appropriation of machine architectures as a reconciliation of the industrialised world with the desires of human beings, so this 'Other Objectivity' practises an accumulation of sensuality in an era marked by great sensual ambivalence. We encounter light-sensuous images, modestly clever, unassuming alive images in the para-universe of Sabine Richter.

Literature
Ernst Bloch, Der Rücken der Dinge. In: Spuren. Frankfurt am Main, 1969
Gilles Deleuze, Logik des Sinns, Frankfurt am Main, 1993
Jacques Derrida, Grammatologie, Frankfurt am Main, 1974
Jacques Rancière, Das ästhetische Unbewußte. Zürich, Berlin, 2006














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Dr. Marc Ries
Vom stummen Bild zum hörenden Bild
Zürich, Berlin
2006

Überlegungen zur Fotografie, angewendet auf die Arbeit
von Sabine Richter
Ich beginne beim fotografischen Bild als einem Bild, das stumm ist. Dieses stumme Bild ist stumm, weil es Schrift und nicht Sprache ist. Es gab nie eine Sprache „davor“, „vorher“, die in das Bild sich-übersetzend drängte, wie das lange Zeit für die Malerei der Fall war: geschwätzige Bilder, die ihren Ausdruck vielen zur Verfügung stellten, nur nicht sich selber. Die Fotografie, sie ist seit Anbeginn stumm, ihre Stummheit meint nicht die Abwesenheit von Sprache, sondern die Anwesenheit einer „stummen Sprache“, von Schrift oder Form als ein Erstes, das sich zeigt und nicht spricht. Keine Übersetzung, kein Kleiderwechsel also, sondern eine Genese, eine Formgeburt. Diese fotografische Schrift resultiert aus dem Aufnehmen all jener Dinge, die im Moment der Aufnahme selber stumm sind und also mit der Fotografie Zeugnis ihrerselbst erhalten. Die Dinge, das sind zunächst jene zahllosen schweigsamen Menschen, die porträtiert werden und die ihre Stummheit als Kondition ihrer Wiedererscheinung im Bild erfahren, ihrer Erscheinung als Körper, nicht als Sprache. Denn es sind die Körper, die wiedergefunden, beachtet, anerkannt werden wollen. Und dann sind es vor allem all jene Dinge, die nie reden konnten, die in der Komplizenschaft mit dem Fotografischen ihre Anwesenheit als Lichtabdruck oder vielleicht besser als Lichtform nutzen, um dem Betrachter etwas zu zeigen, das die Sprache kaum je aus sich hätte erschaffen können (Sprachen sind ja des öfteren blind, leiden an Blindheit der Welt gegenüber). Das, was die Dinge als fotografische hinfort zeigen, ist ihr „Geheimnis“, oder vielleicht besser ist eine Geheimschrift, die einen Zugang eröffnet zu dem, was Jacques Rancière das „ästhetische Unbewußte“ nennt. Beinahe ist es so, als ob die Fotografie dazu aufgerufen ist, jenen „Rücken der Dinge“ zu zeigen, den Ernst Bloch in einem schönen kleinen Text mit der Frage, was denn die Dinge ohne uns treiben, beschreibt: „Das Leben hat sich unter und auf den Dingen angesiedelt, als auf Objekten, die keine Atmung und Speise brauchen, „tot“ sind, ohne zu verwesen, immer vorhanden, ohne unsterblich zu sein; auf dem Rücken dieser Dinge, als wären sie der verwandteste Schauplatz, hat sich die Kultur angesiedelt.“ Die stumme Fotografie nun, ihr gelingt lange Zeit per se, die Hierarchien der Repräsentationordnung zu unterlaufen und zu verkündigen, dass alles, ein jeder „gleichberechtigt, gleich wichtig, gleichermaßen bedeutsam“ (Rancière) sei. Sie verstärkt und bestärkt das Vertrauen in das Kleinste, das Vereinzelte, das Banale, das Fragment. Doch auch die Fotografie wurde zum Aussagen, zum Sprechen gezwungen, zum Übersetzen angehalten. Sie wurde überformt von allem möglich und musste ihre Komplizenschaft mit den Dingen oft genug aufkündigen. Allzu viele glaubten nun allzu vieles in allen Bilder zu „lesen“ und also zu verstehen und also übersehen zu können. Nun wird eine zusätzliche Arbeit notwendig, eine ästhetischen Arbeit an der stummen Form des ästhetischen Unbewussten der Dinge. Hierzu bedarf es, und ich folge hier wieder einer Beobachtung von Jacques Rancière, einer paradoxen Voraussetzung: Damit das „Banale“ sein Geheimnis preisgibt, der Rücken der Dinge sich dem Blick der Kunst zeigt, muss das Einzelne zunächst mythologisiert werden. Rancière bezieht sich hier auf die Dichter, die Geologen und Archäologen werden, um die „wahre Geschichte einer Gesellschaft“ hinter den bunten Ge-Schichten und Mythen der Alltagsdinge zu schreiben. Mir kommt jedoch vor, dass für die fotografische Kunst keine Mythologisierung der Dinge notwendig ist, vielmehr muss das Einzelne dort aufgefunden werden, wo es sich bereits in einem anderen, denn seinem „natürlichen“ Zustand zeigt. Es muss sich noch verkleinerter, reduzierter, minimalisierter, besser: es muss sich von seiner faktischen Materialität noch abstrahierter zeigen, um das Spurenlesen, das Wahrnehmen der historischen Strata, das Erkennen seines Geheimnisses zu ermöglichen.Die Abstraktion erst ermöglich das Wiederfinden des Unvergleichlichen. Hierzu gibt es verschiedene Taktikten. Auf zwei, die Sabine Richter in Verwendung hat, möchte ich näher eingehen: abstrahierender Ausschnitt/Dekomposition und Spiegelung: „Dietla“ zeigt in drei Tableaus verschiedene Ausschnitte einer Mauer mit einer über ein Gestänge versperrten Öffnung. Nichts ist zu sehen ausser einer breiten, kargen Mauerfläche, dunklen Stäben und dem Grün eines Rasens dahinter. Dennoch: Die drei Ausschnitte verhalten sich gerade ob ihrer Dekomposition – als dekontextualisierte Materialität und als nicht-lineare Abfolge – filmisch zueinander, sie evozieren eine investigative Bewegung, obwohl sie doch nur den immer gleichen kleinen, unbedeutenden Teil zeigen. Durch die a-logische Iteration verlangsamt sich der Blick und nun können die Mauer, die Stäbe und das Grün zu erzählen beginnen. „Dzien dobry diego“ macht die vorgefundene Spiegelung eines entleerten Schaufensters zur Produktivkraft der Dinge und ihrer Erscheinung. Entlassen aus ihrer Funktion der Inszenierung der Waren, illuminieren die Spiegelungen nunmehr alles andere, was in ihr Reflektionsfeld tritt oder einfach immer schon da war: das gegenüberliegende Haus, das rote Automobil, der vorbeigehende Mann, der hineinschaut in die Leere des Raumes und dem Kamerablick für kurze Zeit begegnet. Und wieder drei Teile, die zueinander in Bewegung sind und die Betrachtung immer mehr in die historisch komplexe Semantik der Stadt ziehen. Auch die Arbeit „L´espace“ lässt eine Reflektion das Funktionale einer Architektur brechen: Die Ausschnitte provozieren den Verdacht, diese Bilder seien ohne Referenz, wären photogenerative Bilder, Bilder aus dem Inneren von Programmen, rein künstliche Formen. Doch auf der Fassade die zitternden Schatten von Bäumen, Spiegelungen vom Disfunktionalen einer Natur, der Blick verharrt, nimmt plötzlich Unebenheiten wahr, kleine Abnutzungen, Lebensspuren. Das Ding beginnt unter seiner Maskerade zu vibrieren. Offensichtlich sind auch diese Bilder stumm, doch auf eigentümliche Weise scheinen die Bilder zu hören. Sie treten in Resonanz zu ihren Gegenständen, deren Abbild sie zwar leisten, wesentlich ist jedoch, dass sie Klangkörper sind. Die Schwingungen der Erzählungen der Dinge, so „ungegenständlich“ sie sein mögen, nehmen die Begegnung wieder auf zu denen, die hören wollen.

Literatur
Ernst Bloch, Der Rücken der Dinge. In: Spuren. Frankfurt am Main, 1969 Jacques Rancière: Das ästhetische Unbewußte.


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Dr. Marc Ries
Einführung zur Ausstellung insight-out
Kulturzentrum Minoriten, Graz 2004

Evidenz der Uneindeutigkeit
Eine EINFÜHRUNG in eine künstlerische Arbeit ist keine leichte Sache. Entweder man verfährt kunsthistorisch und legitimiert das Werk über Verwandtschaftsbeziehungen zu den großen Kunstmanifestationen der Geschichte. Oder man ergeht sich in einfühlsamen Detailbeobachtungen, die auf ein wesentliches, genialisches im künstlerischen Prozess zielen. Man kann aber auch solcherart vorgehen, dass man eine Beziehung, ein Verhältnis sucht zwischen dem Kunstwerk und der eigenen Arbeit. Auf diese Weise ist der kurze Text in dem Folder entstanden. Dieser Text spiegelt in gewisser Hinsicht die Intentionen der Künstlerin in den Voraussetzungen meiner eigenen Arbeit als Kultur- und Medientheoretiker. Ich spreche also in diesem Text über mich, über meine Wahrnehmung und Reflexion und möchte in dieser Einführung auch nur über diesen Text sprechen, d.h. ihn für mich und für Sie interpretieren und Ihnen auf diese Weise meine Arbeit und in der Spiegelung dieser die Arbeit von Sabine Richter näher zu bringen versuchen. Eigentlich nehme ich das Unternehmen von Sabine Richter ernst und reflektiere das, was sie in der Serie insight-out zeigt, nämlich Spiegelungen. In Abwandlung eines philosophischen Topos könnte man von einer "sich selbst spiegelnden Spiegelung" reden. Man könnte auch sagen, ich leiste so etwas wie vielfache Übersetzungen – der Fotos in Text, des Textes in Sprache, der Sprache wieder zurück in Bilder. Doch gehen wir gleich zum ersten Satz.

Die Spiegelungen, die Sabine Richter an der Stadthalle fotografiert, sind Paradoxa.
Dieser Satz spiegelt ein Denken wieder, ohne das es diesen ganzen ersten Text gar nicht geben würde. Als ich nämlich die Arbeiten von Sabine Richter das erste mal genauer betrachtete, las ich gerade wieder mal in einem erstaunlichen Buch: logique du sens , Logik des Sinns von Gilles Deleuze. Das Buch enthält 34 „Serien der Paradoxa" - untersucht werden "Paradoxa des Sinns", anders gesagt, der in jeglichem Sinn mit enthaltene "Widersinn", also die Entstehung von Sinn aus dem Un-sinn, dem Gegen- und Nicht-sinn. Spiegelungen sind m.e. sehr gut geeignet dieses Thema von Deleuze weiterzudenken. Denn auch Spiegelungen produzieren das, was Deleuze die „unendliche Identität entgegengesetzter Sinnrichtungen“ meint. Wenn Sie die Fotos anschauen, bemerken Sie die Gleichzeitigkeit von sich widersprechenden Konstruktionselementen und topographischen Verhältnissen, wie bspw. die gleichzeitige Anordnung des spitz auslaufenden Daches, allerdings gekippt um 45°, mit Ausschnitten aus dem Innenraum. Hier passiert das, was sich begrifflich als „Simulacrum“ oder (in miss-verständliches Deutsch übersetzt) „Trugbild“ verstehen lässt, ein Bild-Typus also, der das platonische Verhältnis von Urbild und Abbild zurückweist und eine eigene Existenz beansprucht. Ich möchte aber noch auf einen weiteren Prozess aufmerksam machen, den, der sich im Inneren der Kamera selbst abspielt und den man gleichfalls als Spiegelung der Außenwelt begreifen kann. Wie Sie wissen, werden die Außenverhältnisse in der Brechnung der Lichtstrahlen verkehrt, und zwar so, dass die aufgenommenen Objekte in einer Umkehrung von oben und unten, sowie von links und rechts als Negativbild sich chemisch fixieren. Die Entwicklung zum "positiven Bild" korrigiert zwar die vertikale Achse, nicht aber die Seitenverkehrung. Jegliche Fotografie ist also Ergebnis eines paradoxen Prozesses, einer Spiegelung - und ihre Betrachtung ist stets auch eine im Wissen um diese "Andersartigkeit" des Bildes im Vergleich zum Realen. Dort, wo sich [die Spiegelungen] ereignen, entsteht eine Verkehrung architektonischer Verhältnisse dergestalt, dass die sichtbaren Zustände in keinerlei Weise mehr ihren real-stofflichen und statischen Ursachen entsprechen. Zunächst soll der Vorgang der Spiegelung selbst als "Ereignis" beschrieben werden. Spiegelungen ereignen sich, will sagen, dass sie keiner Logik, keinem Kalkül folgen, sondern einem nicht-determinierbaren Prozess, der sie als hoch-kontingent erscheinen lässt. Kontingente Erscheinungen also, will sagen, es bedarf einer besonderen Hinwendung, einer gewissen Sensation und Aufmerksamkeit, um die Erscheinungen überhaupt in den Blick zu nehmen, die Spiegelungen sind eine singuläre Erscheinung, die jederzeit in ein anderes "Bild" umkippen kann, sie ist also eine Möglichkeit von vielen zum Zeitpunkt ihrer Wahrnehmung. Da diese Erscheinungen also kontingent sind, ist es ihnen möglich, eine Verkehrung der Verhältnisse, der statischen und materiellen Verhältnisse herbeizuführen. Nun ist plötzlich alles anders, die Ingenieurskunst ist einer visuellen Kunst gewichen, das Bild kombiniert die einzelnen Bauelemente nach paradoxen Regeln, gruppiert die Flächen und Vektoren um - eine neuartige Konstruktion tritt ins Bild, eine wundersam andere Welt, denn die der Funktionalität der Architektur. die "sichtbaren Zustände" sind solche aus der Welt „hinter den Spiegeln“. Zu sehen sind Wirkungen, ins Bild mutierte unkörperliche Wirkungen, die als „reine“ Oberfläche in den Blick kommen und die Architektur anders erfahren lassen. "Unkörperliche Wirkungen" - auch das eine Referenz an Gilles Deleuze´s Studie zur Philosophie der Stoiker, die zwei Arten von Dingen unterscheiden: nämlich Körper und ihre aufeinander bezogenen Ursachen einerseits, und Ereignisse, bzw. unkörperliche Wirkungen andererseits. Zu sehen sind unkörperliche Fotografien unkörperlicher Spiegelungen, die nicht existieren, sondern insistieren, sie insistieren darauf, dass sie nicht Abbilder von Architektur-Ideen also -Konstruktionen sind, sondern Simulakren mit Oberflächenwirkungen, die nicht die Frage nach einem SEIN stellen, sondern die nach einem aliquid, einem ETWAS. Etwas passiert auf einem spiegelnden Glas, das keine Identität/Idealität beansprucht, sondern von dem Betrachter die Bereitschaft abverlangt, sich auf eine paradoxe Welt einzustellen, in der das, was innen ist, außen wird, und das, was außen ist, innen!

Der fotografische Akt bildet Raum aus, will sagen, er gewährt Einblicke und Einsichten in die baulichen Relationen, die als Bild eine Evokation der Stadthalle ermöglichen, wie sie jegliche andere, unräumliche, also abbildende Fotografie so nicht zu zeigen in der Lage ist.
Die Konzentration auf die fotografische Herausbildung eines "Raumes" folgt meiner nun schon mehrjährigen Beschäftigung mit medialen Raumverhältnissen. Der Rede vom "Raum" liegt ein Raumverständnis zugrunde, das sich streng von jener euklidischen und Newtonschen Definition des Raumes abgrenzt, wonach dieser sich in drei Dimensionen vermessen lässt und als Schachtel oder Kontainer vorstellbar ist. In dieser Tradition hat die "Umgebung" keinen Einfluss auf den "Inhalt" - und das ist ein Problem. Wenn ich davon spreche, dass Sabine Richter im Akt des Fotografierens Raum ausbildet, so meine ich damit, dass sie alle einzelnen Elemente des Baukörpers in ungewohnte, andere, ungewöhnliche Beziehungen zueinander setzt, also einen neuen Raum schafft, der gleichfalls anders wahrgenommen und auch sinnlich bewohnt werden will! Es passiert eine Ein-sicht in das, was der Baukörper noch sein könnte, sein Anders-sein wird evoziert: räumliche Erfahrung dieser Art medial erzeugt vermag eine Evokation, also eine Anrufung der Architektur der Stadthalle, zu ermöglichen, die dem Erleben der Stadthalle als einer Art „wonder-building“ begegnet! Zwar ist der Bau nun nurmehr als Bild erfahrbar, aber in dieser Bildlichkeit ist solch eine Menge Potentialität versammelt, die das ganze gebaute Ding noch einmal, oder besser: noch viele Male in so gänzlich u-topischer Weise sich entwerfen lässt, dass der Betrachter höchst erfreut im neuen Bild, in der neuen Schwerelosikgeit, in einer Art „Topoästhetik“ sich zu verlieren bereit ist. Die als Foto-Grafik ausgewiesenen Arbeiten abstrahieren diesen Akt in eine absurde, also hoch-künstlerische Zwittersprache hinein. In der grafischen Geste werden die Spiegelungen in eine Architektursprache rückübersetzt, die der Planzeichnung, das Unmögliche, Irreale also – zumindest als ikonischer Code – möglich, real gemacht. Ich komme zum zweiten Aspekt, den grafischen Arbeiten. Sind die Spiegelungen gefunden, so die Grafiken erfunden. Sie abstrahieren von den fotografisch gespiegelten Spiegelungen und nehmen von diesen bloß ihre Kontur mit, die Linien, diese werden, vergleichbar der Planzeichnung, nachgezeichnet und auf diese Weise erfährt das irreale der Spiegelung eine eigentümliche Realisierung, eine Verwirklichung innerhalb der Codes der Planzeichnung. Diese sind ikonische Codes, d.h. also Zeichen, die in einer Ähnlichkeitsbeziehung zum Objekt, zum zu bauenden oder gebauten Objekt stehen. Sie erlauben ein Wiedererkennen oder Identifizieren von Bauelementen, sind also vertrauensvoll. Man ist beim Lesen der Zeichen überzeugt, dass sich so tatsächlich ein Bauwerk präsentieren könnte. Kommen wir zum letzten Punkt. Zugleich werden diese Zeichnungen mit fotobildlichen Fragmenten versehen, die auf eine Realität jenseits des Bildes verweisen, die den Blick zwischen einer inneren und einer äußeren Oberfläche oszillieren und also die Uneindeutigkeit also formale Evidenz ins Bild sich einschreiben lassen. Zu diesen ikonischen Zeichen treten jedoch mit den Fotofragmenten indexikalische Zeichen – diese stehen nicht mehr in einer Ähnlichkeitsbeziehung zu den Bauelementen, sondern in einer existentiellen Beziehung: es müssen zum Zeitpunkt der Aufnahme genau jene Elemente in ihren Lichtreflektionen sich mit der Fotokamera treffen, die dann auch im Bild zu sehen sind. Jedes Foto ist Zeugnis einer bestimmten Wirklichkeit, in diesem Fall einer baulichen Wirklichkeit. Prekär an dieser Feststellung ist, dass Fotos auch von bereits vorgefundenen medialen Wirklichkeiten – von Spiegelungen etwa - ein solches Zeugnis abgeben können, nur vermögen diese Bilder dann nichts mehr über die genaue Position und die exakten räumlichen Verhältnisse zu sagen, sondern können bloß noch davon berichten, dass zum Zeitpunkt der Aufnahme irgendwo sich auch das gespiegelt Objekt befand. Somit gelingt es Sabine Richter in subtiler Weise eine unauflösbare Vibration zwischen außen und innen, zwischen Gespiegeltem und Realem zu initiieren, ein Spiel der Zeichen, das uns mit einer ungewöhnlichen Evidenz vertraut macht, der Evidenz der Uneindeutigkeit, der Unschärfe der Bedeutungen könnten man auch sagen, die allerdings, wie ich finde, sehr gut in unsere Zeit passt, bedenkt man den Bilderstreit, der sich zurzeit überall dort entfacht, wo es um alte Wahrheiten statt neue Freiheiten geht.