Peter Volkwein
Einführung zu Ausstellung in der Werkstattgalerie Friege
Museum für Konkrete Kunst Ingolstadt, Remscheid
1999



Wir leben in einer Zeit, in der die künstlerischen Grossereignisse der Hallen- und Ideenkunst, oder besser neudeutsch ausgedrückt, die events, den Kunstmarkt und den Ausstellungsbetrieb beherrschen. Internet und Multimedia überfluten mit ihren Reizen unsere Sinne, mittlerweile fällt das Unterscheiden von echter Realität und virtueller Wirklichkeit immer schwerer und öffnet der Manipulation Tür und Tor. Da tut es doch gut sich darauf zu besinnen, dass es auch noch die andere Kunst gibt, eine stillere Kunst, die nicht bloss interessant sein will. Eine Kunst also, die der Vergangenheit keine Absage erteilt, um nur dem Zeitgeist zu huldigen, sondern eine Kunst, die sich noch einen zeitlosen Begriff der Qualität und des Schönen bewahrt hat, eine Kunst, deren höchster Inhalt Form ist und somit einer Kategorie zuzurechnen ist, die wir heute Konkrete Kunst nennen. Ich denke, dass es hier in diesem Kreise müßig ist, auf die Definition des Begriffes Konkrete Kunst einzugehen, aber lassen sie mich einen kleinen historischen Abriss der Konkreten Fotografie geben, denn a priori scheinen sich Fotografie und Konkrete Kunst konträr gegenüber zustehen. Fotografie im klassischen Sinne ist das ideale Medium, um Wirklichkeit wiederzuspiegeln, die Konkrete Kunst schaltet diese grundsätzlich aus. Die Erfindung der Fotografie war letztendlich der Geburtshelfer der Konkreten Kunst, deren Elemente sich von den Realitätsbezügen, wie sie der Fotografie offensichtlich zugrunde liegen, fundamental unterscheiden.
In der Anfangszeit der Fotografie diente sie den Künstlern als Vorlage für ihre Malerei oder Skulptur und war eine Bildkonserve auf die man immer wieder zurückgreifen konnte. Erst in den zwanziger Jahren unseres Jahrhunderts entwickelte sich die Fotografie zu einem autonomen Bildmedium, das ganz gezielt Konkrete Künstler wie Man Ray, Moholy-Nagy und El Lissitzky einsetzen um ihre künstlerische Formensprache zu erweitern.
L‡szl— Moholy-Nagy ist es im wesentlichen zu verdanken, dass sich das Medium Fotografie von der Aufgabe gegenständlicher Darstellung befreien konnte. Folgerichtig wurde die Entmaterialisierung ein zentrales Anliegen. Moholy-Nagy, der sich selbst als "Lichtner" bezeichnete hat, es auf eine kurze Formel gebracht, ich zitiere: "Der Fotograf ist Lichtbildner, Fotografie ist Gestaltung des Lichtes." Und weiter sagte er: "Das wesentliche Werkzeug des fotografischen Verfahrens ist nicht die Kamera, sondern die lichtempfindliche Schicht, und die spezifisch fotografischen Gesetze und Methoden ergeben sich aus dem Verhalten der Schicht gegenüber den Lichtwirkungen."
Die Kunstgeschichte spricht in diesen Fällen von Fotogrammen, sie kommen im Gegensatz zu den Fotografien ohne Fotoapparat aus. Ein wesentliches Merkmal der Fotogramme ist die systematische Gestaltung. Die Lichtbildner gehen methodisch und systematisch in ihrer Gestaltung vor. Es werden umfangreiche Bildserien erarbeitet, quasi Bildfamilien mit großer Ähnlichkeit und stilistischer Nähe zueinander. Es entstehen Sequenzen, die einem ganzheitlichen Konzept unterliegen. Mehr und mehr deuten sich serielle Arbeitsweisen an. Einzelne Parameter der Gestaltung werden isoliert und schrittweise verändert und somit entstehen logische visuelle Bildreihen. Deren Grundlagen und Themen sind sowohl physikalische Vorgänge, als auch Regelhaftigkeit und Abweichung.
Die gegenwärtige Auseinandersetzung mit Konkreter Fotografie hat sich von den konstruktiven Dogmen und der daraus folgenden Strenge befreit und bezieht zunehmend emotionale und spielerische Elemente mit in sich ein.
Auch aleatorische Muster spielen mehr und mehr mit hinein. Neben rein konreten und materialeigenen Zeichen werden Abbildungsreste und Spuren der Realität mit aufgezeichnet. Sie deuten auf der einen Seite auf die reale Aussenwelt hin, um sich aber auf der anderen Seite wiederum kritisch zu distanzieren und auf eine eindrucksvolle Weise eine neue Sicht der Realität zu provozieren. Die Bildwelten konkreter und konstruktiver Fotografie thematisieren Spannungsfelder, Energiefelder, Kräftefelder, Regeln und Gesetzmäßigkeiten. Sie greifen diese an, oder bestätigen sie. Ihre spezielle Sprache beruht auf der Wirkung des Lichtes in Abhängigkeit von den technischen und chemischen Eigenschaften des benutzten Materials. Die Aufgabe sowohl der Konkreten Kunst, als auch der Konkreten Fotografie ist es, abstrakte Gedanken sinnlich fassbar zu machen, sichtbar zu machen was ohne sie nicht vorhanden wäre. Hierin liegt auch heute noch ihre Bedeutung und ihr Sinn.

Soweit dieser kunsthistorische Exkurs in die Konkrete Fotografie, er soll ihnen helfen die Position und den Stellenwert der künstlerischen Arbeit von Sabine Richter einzuordnen.
Sabine Richter, die ihren künstlerischen Werdegang als Bildhauerin begann, hat mehr oder weniger durch Zufall zur Fotografie gefunden. Fasziniert durch die stetige Veränderung einer Schattenform, bedingt durch die Wanderung des Sonnenlichtes durch den Raum, hat sie sich dieser Thematik mit Hilfe eines Fotoapparates genähert. In einer ersten Serie fotografiert sie die Veränderungen der Farben und Formen, die das Licht auf den diversen Flächen und Körpern bei wechselnden Tageszeiten bewirkt. Zusätzlich beeinflusst sie diese Arbeiten durch die Veränderungen der Blickwinkel und Aufnahmestandorte. Die bestehenden Formen werden aufgelöst und neugeordnet. Auf der einen Seite sucht Sabine Richter ganz bewusst ihre Motive, auf der anderen Seite lässt sie aber auch den Zufall zu. Bevorzugte Motive sind lineare oder flächige Elemente wie Gitter, Geländer, Treppen und Jalousien, ebenfalls Hauskanten und Wandprofilierungen. Alle diese Elemente werfen Schatten, die Mitbestandteil der Motive sind. Aber auch alleine können die Schatten zur Bildaussage werden. Spiegelnde Flächen sind ebenso Inhalt künstlerischer Auseinandersetzung, wie die Spiegelungen selbst, die kaum mehr erkennbare Gegenständlichkeit und somit einen Bezug zur Realität haben.
Diese gesuchten oder zufällig gefundenen Motive werden mit einer einfachen Polaroid-Kamera festgehalten. Jeweils 20-30 Aufnahmen sind das Basismaterial, die Bildkonserve. Der nächste Schritt ist die Verarbeitung der Polaroids im Farbkopierer. Sie werden vergrößert und vervielfältigt. Dabei wird die Wirkung der Farben verändert hin zu einer Übersteigerung, die noch deutlicher mit dem Einsatz eines Tintenstrahldruckers wird. Dieser Arbeitsprozess hat eine totale Verfremdung der Wirklichkeit, bis hin zur Unkenntlichkeit, zur Folge.
Diese Farbkopien werden nun seriell kombinert und zu neuen Formen collagiert und montiert. Ausgangspunkt dieser Arbeiten ich erwähnte es bereits, ist ein tatsächlicher realer Gegenstand. Indem Sabine Richter diesen Gegenstand jedoch oft nur minimal, oder durch Farbmanipulation total verändert und für den Betrachter in der endgültigen Fassung kaum noch erkennbar ins Bild bringt, wird die Realität zur Fiktion. Die eigentliche Realität ist nun nicht mehr die immer fiktionaler werdende Realität, sondern die ästhetische Realität des geschaffenen Kunstwerkes. Im Sinne der Konkrete Kunst bedeutet dies, Sabine Richter konkretisiert, das heisst, sie benutzt nicht bereits vorgefertigte geometrische oder stereometrische Elemente und setzt diese in irgendeine Beziehung, sondern sie wandelt Realtitätsbezüge durch Abstraktion in Konkrete Bildelemente um.
Ein weiters Merkmal Richter«schen Arbeitens ist das Denken in Sequenzen, eine in der Geschichte der Kunst seit langem etablierte Möglichkeit, zwischen ähnlichen Bildern vergleichen zu können. Das Einzelbild wird aus seiner Isolation genommen und ordnet sich dem Ganzen unter. "Das Ganze besteht aus Teilen und ist ein Ganzes" hat Eugen Gomringer einmal gesagt. Ähnlich hat es Moholy-Nagy formuliert, ich zitiere: "Es geht dabei nicht mehr um das einzelne Bild, und die Regeln der Bildästhetik können auf die Serie nicht angewandt werden. Das einzelne Bild verliert seine Identität und wird zu einem Teil, zu einem wesentlichen strukturellen Element des Ganzen. Aus diesen Verknüpfungen von Einzelbildern zu einer fotografischen Serie, welche auf ein ganz bestimmtes Thema hin konzepiert wurden, kann sowohl eine scharfe Waffe als auch zarteste Lyrik entstehen... Selbstverständlichste Voraussetzung dieser Entwicklung ist die Einsicht, dass die Kenntnis der Fotografie nicht weniger wichtig ist, als die Kenntnis des Alphabetes. Der Ungebildete der Zukunft wird weder schreiben noch fotografieren können." Es ist erstaunlich, welche Authensität dieser Satz heute noch hat. Aus der gleichen künstlerischen Denkweise die Sabine Richter bei ihren fotografischen Arbeiten einsetzt, entwickelt sie ihre Formensprache für die Kleinplastiken. Ausgehend von Linien und Flächen entstehen Plastiken, die vom Zweidimensionalen in das Dreidimensionale, in die Tiefe des Raumes greifen.
Flächen schieben sich aneinander oder überlagern sich und bilden so imaginäre Räume. Linien aus Edelstahl geformt, wagen den Vorstoss in den Raum. Aus der Unendlichkeit der Linie bilden sich ineinander verschränkte Flächen, die mit Hilfe von Licht und Schatten zu imaginären räumlichen Gebilden werden, die gekennzeichnet sind von Schwerelosigkeit und Transparenz. Sabine Richters (uvre bewegt sich im Spannungsfeld zwischen Realem und Imaginärem. Es ist vielleicht eine Sehschule die uns hilft in der heutigen Zeit von Multimedia und Internet zwischen realer und virtueller Wirklickeit zu unterscheiden.