Petra Weigle
Einführung zur Ausstellung sabine richter vor ort
Städtisches Museum Zirndorf
2006

Die persönliche Sicht der Dinge erlaubt es, etwas zusammenzubringen, was ursprünglich nichts miteinander zu tun hat. So z.B. die Hoffräulein, also das Bild „Las Meninas“ von Diego Velazquez – im Prado in Madrid zu besichtigen – und die Jalousien des Landratsamts in Zirndorf.
Die Verbindung ist Sabine Richter.
Velazquez’ großartiges Werk der Kunstgeschichte bietet eine ganz besondere Perspektive – es ist, wie Sie sicher wissen, im Spiegel gemalt – der Maler selbst im Bild - und verlangt daher vom Betrachter festgefahrene Sehgewohnheiten aufzugeben.
Einmal davon abgesehen, dass Las Meninas zu Richters Favoriten gehört - wenn nicht sogar ihr liebstes Werk der Kunstgeschichte ist – auch sie arbeitet mit Spiegelungen und konfrontiert den Betrachter in ihren Fotosequenzen mit unerwarteten Blickwinkeln und perspektivischen Ausschnitten der alltäglichen Umgebung und fordert somit auf, Wahrnehmung zu erweitern.

Da flottieren hunderte geordneter Gerüststangen (wie in den Arbeiten der Serie „grid“) oder auch Holzkonstruktionen (wie in der 2-teiligen Arbeit »szeroka«) kreuz und quer – nein gekippt und gespiegelt über das Aludibond, weich geschwungene Architektursegmente (wie in »interference«) scheinen einer Umlenkung unterzogen und betten sich schmiegsam in die Struktur der gleichmäßigen Panelle ein oder es spiegelt sich abstrahiert bewegtes Baumgrün in den Sonnen beschienenen Jalousien der Fenster des Zirndorfer Landratsamtes.

Die Durchdringung verschiedener Ebenen und Dimensionen, die Koexistenz unterschiedlicher Formen ist es was das Interesse Sabine Richters ausmacht, das Dreidimensionale (also Raum und Körper) in die Zweidimensionalität der Fläche zu bringen.
Diese „Übersetzung“ gelingt ihr, indem sie extreme Anschnitte ihrer Motive wählt und dabei den Gegenstand soweit abstrahiert, dass der Bildausschnitt sich verselbständigt – sich verselbständigen kann - und durch weitere Bearbeitung - kaum noch erkennbar ins Bild gebracht ist, damit aber frei ist für einen neuen Kontext, ein neues Spannungsfeld.

Die einmal mit der Kamera eingefangenen konzentrierten Ausschnitte des Gesehenen – die Versatzstücke der Wirklichkeit also - werden für den neuen Kontext bearbeitet – sie werden gescannt, fotokopiert, vergrößert, verdoppelt, verschoben, selektiert und neu zusammengefügt – jede Arbeit ein »formal erschlossenes Environment« unter der Maßgabe einer „poetischen Logik“ wie ich das „Auswahlverfahren“ ihrer Motivsuche – oder besser Motivfindung - bezeichnen möchte. Keine vorgefertigten geometrischen oder stereometrischen Elemente also – wie sie der klassischen konkreten Fotografie angehören -, vielmehr ein Umwandeln von Realitätsbezügen in konkrete Bildelemente mittels Abstraktion.

Die Konkrete Kunst und Fotografie hat sich die Untersuchung von Regeln und Gesetzmäßigkeiten zur Aufgabe gemacht. Darin ist Sabine Richter ganz konkrete Fotografin, denn sie erkundet die Strukturen der Orte und auch der Erinnerung mittels strenger Farb-Form-Kompositionen.

Gleichermaßen erzählen ihre Arbeiten aber auch Geschichten – Geschichten des Gewöhnlichen, überlagern die Bild-Oberfläche mit Atmosphärischem.

„Realität und Vision zusammenbringen“ und „das fotografische Bild zur Metapher für einen Schwebezustand zwischen Realem und Imaginären“ werden zu lassen, so die Künstlerin selbst über ihre Arbeit.

Insbesondere in ihrer neuen Serie »l’espace«, wo sie spezifische Details des (extraordinären) Museumsbau Espace de l’Art Concret in Südfrankreich zur Grundlage macht, wird deutlich wie ihr modulares System zu einer offenen Sprache geometrischer Abstraktion wird. Der Rhythmus der Architektur(segmente), die Flächenkonstruktion in ihrer artifiziellen grünen Farbigkeit, sowie das Verhältnis der im Winkel aufgenommenen Kuben, lassen ein mehrteiliges Wahrnehmungspuzzle entstehen, das irritiert aber auch animiert den nur zu ahnenden Zusammenhängen nachzugehen.
- Eine Art performativer Geometrie, wo Licht und Schatten materialisiert erscheinen und die visuellen Ablenkungen (Interferenzen) provokant verlaufen. Bilder, auf denen die Konzentration auf den fotografischen Ausschnitt eine grundlegend andere Wendung erfährt: der Ausschnitt wird zum Mittel für eine im wahren Sinn stattfindende ‚Detailbetrachtung’ vielschichtiger Wirklichkeit.

Sabine Richter vereinigt Widersprüche, ohne sie auflösen zu wollen und macht damit den Betrachter mit der Unschärfe von Bedeutungen vertraut. Präzision und Verunklärung sind für sie nicht gegenläufig – natürlich nicht, denn - das Leben – die Realität - ist komplex und paradox zugleich.